Immer dem Känguru nach

Neues Deutschland

Von Heidi Diehl
 

Ein Radweg auf den Spuren Ludwig Leichhardts soll den in Brandenburg geborenen Australienforscher endlich bekannter machen

Leonie muss keine Sekunde nachdenken. Natürlich kennt sie Ludwig Leichhardt. »Ist doch piepeinfach«, erklärt die Zweitklässlerin kess. »Der kommt aus Trebatsch und hat dann Australien erforscht. Meine Oma hat mir Bücher geschenkt, da steht ganz viel über ihn drin.«

Wo Australien liegt, weiß das Mädchen zwar nur so ungefähr - »ganz weit weg, ganz da unten« - aber zu Ludwig Leichhardt kennt sie sich aus. Schließlich kommt sie auch aus Trebatsch, geht in die Schule, die seinen Namen trägt und in der es in jedem Jahr Projekttage gibt, die dem wohl bedeutendsten wie hierzulande unbekanntesten Australienforscher gewidmet sind.

In Australien kennt ihn jedes Kind, dort gehört er zum Grundschulwissen, Straßen, Gebirge, ein Fluss und ein Stadtteil von Sydney sind nach ihm benannt, überall gibt es Denkmale. Ludwig Leichhardt, der Sohn eines Torfinspektors aus dem ostbrandenburgischen Dörfchen Trebatsch gilt in Down Under als Nationalheld, er wird verehrt, wie wenige andere. Der einzige Literaturnobelpreisträger Australiens, Patrik White, hat ihm mit seinem Roman »Voss« ein literarisches Denkmal gesetzt, die gleichnamige Oper von Richard Meale wurde in den Rang einer Nationaloper erhoben.

In seiner Heimat ist er jedoch so gut wie unbekannt. Das soll sich nun endlich ändern. Dieses Jahr wäre der Naturforscher, Zoologe, Botaniker und Geologe 200 Jahre alt geworden. Mit einer Vielzahl von Veranstaltungen - Konferenzen, Ausstellungen, Lesungen, Festen - soll an den Mann erinnert werden, der der Enge der preußischen Provinz entfloh, und sich als einer der Ersten ins von Weißen nie betretene Outback des riesigen Kontinents wagte. Mit seinen Entdeckungen dort trug er maßgeblich zur späteren Besiedlung des Landesinneren Australiens bei.

Seit einer Woche gibt es mit dem »Leichhardt Trail« einen neuen Rad- und Wanderweg auf den Spuren des Australienforschers, der über rund 54 Kilometer von seinem Geburtsort Trebatsch nach Cottbus führt, wo Leichhardt von 1829 bis 1831 das Gymnasium besuchte. Die Orte am Weg erzählen von seiner Kinder- und Jugendzeit in Brandenburg.

Start ist am Leichhardt Museum in Trebatsch, wo sich seit Jahren ein rühriger Verein um das Erbe ihres größten Sohnes kümmert. 1988, anlässlich des 175. Geburtstages des Forschers gegründet, erzählt das Museum über die Zeit, als Ludwig hier lebte. Regelmäßig finden hier Vorträge von Leuten statt, die sich in die Welt aufmachten, um sie und sich besser zu verstehen. Und die somit Lust aufs Reisen und Entdecken machen. Ebenfalls seit 1988 gibt es im Dorf eine Leichhardtstraße, einen Gedenkstein vor seinem (wahrscheinlichen) Geburtshaus, und neuerdings grüßt der Forscher als Holzplastik vom Leichhardtplatz im Dorfzentrum.

Jetzt aber rauf auf den Drahtesel und in die Pedalen getreten - immer dem hüpfenden Känguru nach. »Das gibt's doch nicht«, ruft Regina, als uns am Eingang des Naturcampingplatzes »Ludwig Leichhardt« in Nachbarort Zaue zwei lebendige australische Wappentiere begrüßen. Seit kurzem leben Jack und Jill, die beiden niedlichen Wallabys, hier und scheinen sich im dünn besiedelten märkischen Outback sehr wohl zu fühlen.

Als der 13-jährige Ludwig Leichhardt zwischen 1826 und 1829 diesen Weg von Trebatsch nach Zaue lief, wusste er noch nichts von Kängurus und deren Heimat. Weil die Dorfschule »unter aller Sau« war, schickte Vater Leichhardt seine Söhne Hermann und Ludwig ins Nachbardorf zu Pastor Rödelius, der die beiden Jungs aufs Gymnasium vorbereite. Der Pastor lehrte sie Griechisch und Latein und weihte sie in die Geheimnisse der Naturwissenschaften ein. Das war genau nach Ludwigs Geschmack. Rödelius war es, der den Forscherdrang in dem Jungen weckte, der ihn Jahre später bis ans Ende der Welt führen sollte.

Bei einem Stopp an der schönen alten Zauener Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert erzählt Pfarrerin Dörte Wernick gern von dem Lehrer und seinem begabten Schüler. Im Garten hinter der Kirche hat sie einen Daliengarten angelegt, jener Blume, die Leichhardt besonders liebte. Eine Sorte ist sogar nach ihm benannt.

Weiter geht's immer am Schwielochsee entlang nach Goyatz. Bei einer Rast am Leichhardt᠆ufer ist es wieder Regina, die Neues entdeckt. Diesmal an der Infotafel. »Schräg, was für Viecher die in Australien nach ihm benannt haben: die Weinbergschnecke Helix leichhardti COX, den Fisch Pristiopsis leichhardtii WHITLEY oder das Hasenkänguru Lagorchestes leichhardti.«

Gut, das zu wissen, doch näher ist uns im Moment der knurrende Magen. Und da am Ufer die Jugendlichen gerade das Maifest vorbereiten, entschließen wir uns, die Nacht hierzubleiben und gemeinsam mit der Dorfbevölkerung in den Mai zu tanzen. Eine gute Idee, denn es stellt sich heraus, dass auch hier jeder was über den Forscher weiß.

So können wir uns am nächsten Morgen mit ziemlich gutem Vorwissen mal »janz dumm stellen« und einem Wanderer, den wir auf dem Trail begegnen, scheinheilig fragen, ob er uns erklären könne, warum hier überall im märkischen Wald Wegweiser mit einem Känguru angebracht sind. Seine Antwort lässt uns nicht nur staunen, sondern verschafft uns allen auch eine längere Pause. Der Cottbuser Rentner, der mit seiner Frau jeden Tag so zehn bis 15 Kilometer unter die Füße nimmt, setzt zu einem längeren Vortrag über Leichhardt an.

Als wir uns wieder in den Sattel schwingen, wissen wir Näheres über seine drei Exkursionen: Nach 136 Tagen Überfahrt betrat Ludwig Leichhardt im Februar 1842 bei Sydney erstmals australischen Boden. Die ersten 20 Monate bereiste er in kürzeren Etappen das Gebiet der Darling Downs im Süden Queenslands, 1844 sammelte er zehn Männer um sich und brach im Oktober zur ersten großen Expedition auf, die über rund 5000 Kilometer von Darling Downs in Queensland nach Port Essington in den Northern Territories führte. Unendliche Strapazen hatten sie zu bewältigen - Hitze bis 40 Grad, undurchdringliches Dickicht, die Suche nach Trinkwasser, Übergriffe der Ureinwohner. Leichhardt entdeckte Gebirgsketten, Flüsse, Berge und Bodenschätze. Akribisch führte er Tagebuch und zeichnete alles auf, sammelte Pflanzen, präparierte Vögel und Kleintiere. Am 17. Dezember erreichten die Männer Port Essington bei Darwin. Zurückgekehrt nach Sydney wurden die Expeditionsteilnehmer begeistert gefeiert. Sie hatten einen Landweg von Ost nach Nord durchs Outback gefunden und den Weg zur Besiedlung geebnet.

Am 1. Oktober 1846 machten er und neun andere sich zur zweiten Expedition auf den Weg. Leichhardt wollte durch das Innere des Kontinents bis zum Swan River im Westen am Indischen Ozean. Doch das Schicksal war ihnen nicht gnädig, starke Regenfälle, reißende Flüsse, Hitze und Moskitos saugten alle Kraft aus den Männern. Im Juni 1847 gaben sie erschöpft auf und kehrten um. Doch Leichhardt wollte die Ost-West-Durchquerung unbedingt. »Ich vollbringe es, oder ich sterbe«, notierte er entschlossen. Im März 1848 brach er erneut auf, einen Monat später gab es das letzte Lebenszeichen von ihm, seitdem ist er verschollen. Zahlreiche Suchexpeditionen machten sich auf den Weg, die letzte 1953. Alles, was man fand, führte zu immer neuen Gerüchten, jedoch zu keiner gesicherten Erkenntnis über das Schicksal Leichhardts.

Nach so vielen Infos müssen wir uns erst einmal kurz sammeln, einen solchen Geschichtsunterricht im märkischen Wald hätten wir nicht erwartet. Regina findet zuerst ihre Sprache wieder und fragt den Wandersmann, woher er das denn alles wüsste. »Ich stieß irgendwann in Cottbus auf die Ludwig-Leichhardt-Allee. Da wollte ich einfach wissen, wer sich hinter dem Namen verbirgt«, erklärt er.

Wenn auch nicht so schlimm wie Leichhardt im Outback, so schinden doch auch wir uns ziemlich auf den nächsten knapp 20 Kilometern. »Trail« ist wirklich die richtige Bezeichnung für den Weg, denn streckenweise muss man sich durch tiefen Sand quälen. Ohne Mountainbike ist das kaum zu schaffen. Obwohl das letzte Drittel der Strecke wieder über gut ausgebaute Wege führt, kommen wir am Nachmittag völlig fertig in Cottbus an. Hier, im Branitzer Park, wollen wir uns unbedingt noch die Ausstellung über den hier unbekannten Helden anschauen, der seinen Forscherdrang letztlich mit dem Leben bezahlte.

Unsere »Expedition« brachte neben einem kräftigen Muskelkater vor allem viele interessante Begegnungen und neues Wissen über einen Mann, der es verdient, auch in seiner Heimat endlich bekannter zu werden.

  • Infos: Tourisinfo, Am Bahnhof 27, 15913 Schwielochsee, OT Goyatz, Tel.: (035478) 17 90 90, www.leichhardtland.de.
  • Auf dieser Seite findet man auch die Streckenführung des Leichhardt Trails.
  • Leichhardt-Museum Trebatsch unter www.gemeinde-tauche.de
  • Leichhardt-Ausstellung im Marstall des Branitzer Parks vom 5.5. bis 31.10.2013, 10 bis 18 Uhr, www.pueckler-museum.de
  • Übernachtungen am Trail: Pension Rademacher, Dorfstr. 37, 15913 Zaue, Tel./Fax: (035478) 762, www.bauernhof-rademacher.de (hier gibt es auch einen Bauernhofladen und ein gemütliches Lesecafé); Pension Hafenterrasse, Am Bahnhof 31, 15913 Schwielochsee, OT Goyatz, Tel.: (035478) 130 23, www.pension-hafenterrasse.de